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(Nr. 920.) Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten. Vom 31. März 1873.
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc.
verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt:
Inhaltsverzeichnis
- Versetzung in ein anderes Amt.
- Einstweilige Versetzung in den Ruhestand.
- Entlassung der auf Probe, Kündigung oder auf Widerruf angestellten Beamten.
- Wiederanstellung ausgeschiedener Beamten
- Pensionirung der Beamten. Anspruch auf Pension
- Anspruch auf Umzugskosten
- Betrag der Pension.
- Berechnung der Dienstzeit.
- Nachweis der Dienstunfähigkeit.
- Zahlbarkeit der Pensionen.
- Kürzung, Einziehung und Wiedergewährung der Pensionen.
- Zwangsweise Versetzung in den Ruhestand.
- Bewilligung für Hinterbliebene.
- Transitorische Bestimmungen.
- Allgemeine Bestimmungen über Dienstvergehen und deren Bestrafung.
- Von dem Disziplinarverfahren.
- Besondere Bestimmungen in Betreff der Beamten der Militärverwaltung.
- Kosten des Disziplinarverfahrens.
- Vorläufige Dienstenthebung.
- Besondere Bestimmungen über die Defekte der Beamten.
- Verfolgung vermögensrechtlicher Ansprüche.Allgemeine Bestimmungen.
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Basisdaten |
fertig |
Titel: |
Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten. |
Fundstelle: |
Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1873, Nr. 10, Seite 61 - 90 |
Fassung vom: |
31. März 1873 |
Bekanntmachung: |
4. April 1873 |
Quelle: |
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Editionsrichtlinien zum Projekt
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Allgemeine Bestimmungen.
§. 1.
- Reichsbeamter im Sinne dieses Gesetzes ist jeder Beamte, welcher
entweder vom Kaiser angestellt oder nach Vorschrift der Reichsverfassung
den Anordnungenungen des Kaisers Folge zu leisten verpflichtet ist.
§. 2.
- Soweit die Anstellung der Reichsbeamten nicht unter dem
ausdrücklichen Vorbehalt des Widerrufs oder der Kündigung erfolgt,
gelten dieselben als auf Lebenszeit angestellt.
§. 3.
- Vor dem Dienstantritte ist jeder Reichsbeamte auf die Erfüllung
aller Obliegenheiten des ihm übertragenen Amtes eidlich zu verpflichten.
§. 4.
- Jeder Reichsbeamte erhält bei seiner Anstellung eine Anstellungs-Urkunde.
- Der Anspruch des Beamten auf Gewährung des mit dem Amte verbundenen
Diensteinkommens beginnt in Ermangelung besonderer Festsetzungen mit dem
Tage des Amtsantritts, in Betreff später bewilligter Zulagen mit dem
Tage der Bewilligung.
§. 5.
- Die Zahlung des Gehalts erfolgt monatlich im voraus. Dem Bundesrath
bleibt vorbehalten, diejenigen Beamten zu bestimmen, an welche die
Gehaltszahlung vierteljährlich stattfinden soll.
- Beamte, welche bis zum Erlasse dieses Gesetzes ihr Gehalt
vierteljährlich bezogen haben, sollen dasselbe jedenfalls bis zu ihrer
Beförderung in ein höheres Amt in gleicher Weise fortbeziehen.
§. 6.
- Die Reichsbeamten können den auf die Zahlung von Diensteinkünften,
Wartegeldern oder Pensionen ihnen zustehenden Anspruch mit rechtlicher
Wirkung nur in soweit cediren, verpfänden oder sonst übertragen, als sie
der Beschlagnahme unterliegen (§. 19).
- Die Benachrichtigung an die auszahlende Kasse geschieht durch eine der Kasse auszuhändigende öffentliche Urkunde.
§. 7.
- Hinterläßt ein Beamter, welcher mit der Wahrnehmung einer in den
Besoldungs-Etats aufgeführten Stelle betraut ist, eine Wittwe oder
eheliche Nachkommen, so gebührt den Hinterbliebenen für das auf den
Sterbemonat folgende Vierteljahr noch die volle Besoldung des
Verstorbenen (Gnadenquartal), unbeschadet jedoch weitergehender
Ansprüche, welche ihm etwa vor Erlaß dieses Gesetzes und vor Eintritt in
den Reichsdienst zugestanden worden sind. Zur Besoldung im Sinne der
vorstehenden Bestimmung gehören außer dem Gehalt auch die sonstigen, dem
Verstorbenen aus Reichsfonds gewährten Dienstemolumente, soweit
dieselben nicht als Vergütung für baare Auslagen zu betrachten sind. An
wen die Zahlung des Gnadenquartals zu leisten ist, bestimmt die
vorgesetzte Dienstbehörde. Das Gnadenquartal kann nicht Gegenstand der
Beschlagnahme sein.
§. 8.
- Die Gewährung des Gnadenquartals kann in Ermangelung der im §. 7
bezeichneten Hinterbliebenen mit Genehmigung der obersten Reichsbehörde
auch dann stattfinden, wenn der Verstorbene Eltern, Geschwister,
Geschwisterkinder oder Pflegekinder, deren Ernährer er war, in
Bedürftigkeit hinterläßt, oder wenn der Nachlaß nicht ausreicht, um die
Kosten der letzten Krankheit und der Beerdigung zu decken.
§. 9.
- In dem Genusse der von dem verstorbenen Beamten bewohnten
Dienstwohnung ist die hinterbliebene Familie nach Ablauf des
Sterbemonats noch drei fernere Monate zu belassen.
- Hinterläßt der Beamte keine Familie, so ist denjenigen, auf welche
sein Nachlaß übergeht, eine vom Todestage an zu rechnende dreißigtägige
Frist zur Räumung der Dienstwohnung zu gewähren.
- In jedem Falle müssen Arbeits- und Sessionszimmer, sowie sonstige
für den amtlichen Gebrauch bestimmte Lokalitäten sofort geräumt werden.
§. 10.
- Jeder Reichsbeamte hat die Verpflichtung, das ihm übertragene Amt
der Verfassung und den Gesetzen entsprechend gewissenhaft wahrzunehmen
und durch sein Verhalten in und außer dem Amte der Achtung, die sein
Beruf erfordert, sich würdig zu zeigen.
§. 11.
- Ueber die vermöge seines Amtes ihm bekannt gewordenen
Angelegenheiten, deren Geheimhaltung ihrer Natur nach erforderlich oder
von seinem Vorgesetzten vorgeschrieben ist, hat der Beamte
Verschwiegenheit zu beobachten, auch nachdem das Dienstverhältniß
aufgelöst ist.
§. 12.
- Bevor ein Reichsbeamter als Sachverständiger ein außergerichtliches
Gutachten abgiebt, hat derselbe dazu die Genehmigung seiner vorgesetzten
Behörde einzuholen.
- Ebenso haben Reichsbeamte, auch wenn sie nicht mehr im Dienste sind,
ihr Zeugniß in Betreff derjenigen Thatsachen, auf welche die
Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit sich bezieht, insoweit zu
verweigern, als sie nicht dieser Verpflichtung in dem einzelnen Falle
durch die ihnen vorgesetzte oder zuletzt vorgesetzt gewesene
Dienstbehörde entbunden sind.
§. 13.
- Jeder Reichsbeamte ist für die Gesetzmäßigkeit seiner amtlichen Handlungen verantwortlich.
§. 14.
- Die Vorschriften über den Urlaub der Reichsbeamten und deren Stellvertretung werden vom Kaiser erlassen.
- In Krankheitsfällen, sowie in solchen Abwesenheitsfällen, zu denen die Beamten eines Urlaubs nicht bedürfen (Reichsverfassung Art. 21), findet ein Abzug vom Gehalte nicht statt. Die Stellvertretungskosten fallen der Reichskasse zur Last.
- Ein Beamter, welcher sich ohne den vorschriftsmäßigen Urlaub von
seinem Amte entfernt hält, oder den ertheilten Urlaub überschreitet,
ist, wenn ihm nicht besondere Entschuldigungsgründe zur Seite stehen,
für die Zeit der unerlaubten Entfernung seines Diensteinkommens
verlustig.
§. 15.
- Die vom Kaiser angestellten Beamten dürfen Titel, Ehrenzeichen,
Geschenke, Gehaltsbezüge oder Remunerationen von anderen Regenten oder
Regierungen nur mit Genehmigung des Kaisers annehmen.
- Zur Annahme von Geschenken oder Belohnungen in Bezug auf sein Amt
bedarf jeder Reichsbeamte der Genehmigung der obersten Reichsbehörde.
§. 16.
- Kein Reichsbeamter darf ohne vorgängige Genehmigung der obersten
Reichsbehörde ein Nebenamt oder eine Nebenbeschäftigung, mit welcher
eine fortlaufende Remuneration verbunden ist, übernehmen oder ein
Gewerbe betreiben. Dieselbe Genehmigung ist zu dem Eintritt eines
Reichsbeamten in den Vorstand, Verwaltungs- oder Aufsichtsrath einer
jeden auf Erwerb gerichteten Gesellschaft erforderlich. Sie darf jedoch
nicht ertheilt werden, sofern die Stelle mittelbar oder unmittelbar mit
einer Remuneration verbunden ist.
- Die ertheilte Genehmigung ist jederzeit widerruflich.
- Auf Wahlkonsuln und einstweilen in den Ruhestand versetzte Beamte finden diese Bestimmungen keine Anwendung.
§. 17.
- Titel, Rang und Uniform der Reichsbeamten werden durch Kaiserliche Verordnung bestimmt.
§. 18.
- Die Höhe der den Reichsbeamten bei dienstlicher Beschäftigung
außerhalb ihres Wohnortes zustehenden Tagegelder und Fuhrkosten,
ingleichen der Betrag der bei Versetzungen derselben zu vergütenden
Umzugskosten, wird durch eine im Einvernehmen mit dem Bundesrathe zu
erlassende Verordnung des Kaisers geregelt.
§. 19.
- Auf die Rechtsverhältnisse der aktiven und der aus dem Dienste
geschiedenen Reichsbeamten, über welche nicht durch Reichsgesetz
Bestimmung getroffen ist, finden diejenigen gesetzlichen Vorschriften
Anwendung, welche an ihren Wohnorten für die aktiven, beziehungsweise
für die aus dem Dienste geschiedenen Staatsbeamten gelten. Für
diejenigen Reichsbeamten, deren Wohnort außerhalb der Bundesstaaten sich
befindet, kommen hinsichtlich dieser Rechtsverhältnisse vor deutschen
Behörden die gesetzlichen Bestimmungen ihres Heimathsstaates (§. 21)
und, in Ermangelung eines solchen, die Vorschriften des preußischen
Rechts zur Anwendung.
- Diejenigen Begünstigungen, welche nach der Gesetzgebung der
einzelnen Bundesstaaten den Hinterbliebenen der Staatsbeamten
hinsichtlich der Besteuerung der aus Staatsfonds oder aus öffentlichen
Versorgungskassen denselben gewährten Pensionen, Unterstützungen oder
sonstigen Zuwendungen zustehen, finden auch zu Gunsten der
Hinterbliebenen von Reichsbeamten hinsichtlich der denselben aus Reichs-
oder Staatsfonds oder aus öffentlichen Versorgungskassen zufließenden
gleichartigen Bezüge Anwendung.
§. 20.
- Ingleichen stehen bezüglich:
- 1) der Mitwirkung bei der Siegelung des Nachlasses eines Reichsbeamten,
- 2) des Vorzugsrechts im Konkurse oder außerhalb desselben wegen der
einem Reichsbeamten zur Last fallenden Defekte aus einer von demselben
geführten Kassen- oder sonstigen Vermögensverwaltung
- dem Reiche, beziehungsweise dessen Behörden, im Verhältniß zu den
Reichsbeamten dieselben Rechte zu, welche die am dienstlichen Wohnsitze
des Reichsbeamten geltende Gesetzgebung des einzelnen Bundesstaates dem
Staate, beziehungsweise dessen Behörden den Staatsbeamten gegenüber
gewährt.
§. 21.
- Reichsbeamte, deren dienstlicher Wohnsitz sich im Auslande befindet,
behalten den ordentlichen persönlichen Gerichtsstand, welchen sie in
ihrem Heimathsstaate hatten. In Ermangelung eines solchen
Gerichtsstandes ist ihr ordentlicher persönlicher Gerichtsstand in der
Hauptstadt des Heimathsstaates, und in Ermangelung eines Heimathsstaates
vor dem Stadtgericht zu Berlin begründet. Ist die Hauptstadt in mehrere
Gerichtsbezirke getheilt, so wird das zuständige Gericht im Wege der
Justizverwaltung durch allgemeine Anordnung bestimmt.
- Auf Wahlkonsuln finden diese Bestimmungen keine Anwendung.
§. 22.
- Befindet sich der dienstliche Wohnsitz des Beamten (§. 21) in einem
Lande, in welchem Reichs-Konsulargerichtsbarkeit besteht, so wird durch
die vorstehende Bestimmung nicht ausgeschlossen, daß der Beamte zugleich
der Reichs-Konsulargerichtsbarkeit nach Maßgabe des Gesetzes vom 8. November 1867 (Bundes-Gesetzbl. S. 137) unterliegt.
Versetzung in ein anderes Amt.
§. 23.
- Jeder Reichsbeamte muß die Versetzung in ein anderes Amt von nicht
geringerem Range und etatsmäßigem Diensteinkommen mit Vergütung der
vorschriftsmäßigen Umzugskosten sich gefallen lassen, wenn es das
dienstliche Bedürfniß erfordert.
- Als eine Verkürzung im Einkommen ist es nicht anzusehen, wenn die
Gelegenheit zur Verwaltung von Nebenämtern entzogen wird, oder die
Ortszulage oder endlich die Beziehung der für Dienstunkosten besonders
ausgesetzten Einnahmen mit diesen Unkosten fortfällt.
Einstweilige Versetzung in den Ruhestand.
§. 24.
- Jeder Reichsbeamte kann unter Bewilligung des gesetzlichen
Wartegeldes einstweilig in den Ruhestand versetzt werden, wenn das von
ihm verwaltete Amt in Folge einer Umbildung der Reichsbehörden aufhört.
§. 25.
- Außer dem im §. 24 bezeichneten Falle können durch Kaiserliche
Verfügung die nachbenannten Beamten jederzeit mit Gewährung des
gesetzlichen Wartegeldes einstweilig in den Ruhestand versetzt werden:
- der Reichskanzler, der Präsident des Reichskanzler-Amts, der Chef
der Kaiserlichen Admiralität, der Staatssekretär im Auswärtigen Amte,
die Direktoren und Abtheilung-Chefs im Reichskanzler-Amte und in den
einzelnen Abtheilungen desselben, sowie im Auswärtigen Amte und in den
Ministerien, die vortragenden Räthe und etatsmäßigen Hülfsarbeiter im
Auswärtigen Amte, die Militär- und die Marine-Intendanten, die
diplomatischen Agenten einschließlich der Konsuln.
§. 26.
- Das Wartegeld beträgt bei Gehältern bis zu 150 Thlr. ebensoviel als
das Gehalt, bei höheren Gehältern drei Viertheile des Gehalts, jedoch
nicht weniger als 150 Thlr.
- Bei Feststellung der Jahresbeträge der Wartegelder werden überschießende Thalerbrüche auf volle Thaler abgerundet.
- Der Jahresbetrag des Wartegeldes kann 3000 Thlr. nicht übersteigen.
§. 27.
- Die Zahlung des Wartegeldes erfolgt im voraus in derselben Weise, in
welcher bis dahin die Zahlung des Gehalts stattgefunden hat. Die
Gehaltszahlung hört auf und die Zahlung des Wartegeldes beginnt mit dem
Ablaufe des Vierteljahres, welches auf den Monat folgt, in welchem dem
Beamten die Entscheidung über seine einstweilige Versetzung in den
Ruhestand, der Zeitpunkt derselben und die Höhe des Wartegeldes bekannt
gemacht worden ist.
§. 28.
- Die einstweilig in den Ruhestand versetzten Beamten sind bei Verlust
des Wartegeldes zur Annahme eines ihnen übertragenen Reichsamtes,
welches ihrer Berufsbildung entspricht, unter denselben Voraussetzungen
verpflichtet, unter denen nach §. 23 ein Reichsbeamter die Versetzung in
ein anderes Amt sich gefallen lassen muß.
§. 29.
- Das Recht auf den Bezug des Wartegeldes hört auf:
- 1) wenn der Beamte im Reichsdienste mit einem dem früher von ihm
bezogenen Diensteinkommen mindestens gleichen Diensteinkommen wieder
angestellt wird,
- 2) wenn der Beamte das deutsche Indigenat verliert,
- 3) wenn der Beamte ohne Genehmigung des Reichskanzlers seinen Wohnsitz außerhalb der Bundesstaaten nimmt,
- 4) wenn der Beamte des Dienstes entlassen wird.
§. 30.
- Das Recht auf den Bezug des Wartegeldes ruht, wenn und so lange der
einstweilig in den Ruhestand versetzte Beamte in Folge einer
Wiederanstellung oder Beschäftigung im Reichs- oder im Staatsdienste ein
Diensteinkommen bezieht, insoweit als der Betrag dieses neuen
Diensteinkommens unter Hinzurechnung des Wartegeldes den Betrag des von
dem Beamten vor der einstweiligen Versetzung in den Ruhestand bezogenen
Diensteinkommens übersteigt. Findet die Beschäftigung des Beamten
vorübergehend gegen Tagegelder oder eine anderweite Entschädigung statt,
so wird demselben das Wartegeld für die ersten sechs Monate dieser
Beschäftigung unverkürzt, dagegen vom siebenten Monat ab nur zu dem nach
der vorstehenden Bestimmung zulässigen Betrage gewährt.
§. 31.
- Nach dem Tode eines einstweilig in den Ruhestand versetzten Beamten
erfolgt die Gewährung des Gnadenquartals vom Wartegelde an die
Hinterbliebenen nach den in den §§. 7 und 8 enthaltenen Grundsätzen.
Entlassung der auf Probe, Kündigung oder auf Widerruf angestellten Beamten.
§. 32.
- Die Entlassung der auf Probe, auf Kündigung oder sonst auf Widerruf
angestellten Beamten erfolgt durch diejenige Behörde, welche die
Anstellung verfügt hat.
Wiederanstellung ausgeschiedener Beamten.
§. 33.
- Zur Wiederanstellung von Beamten, welche aus dem Reichsdienste
freiwillig oder unfreiwillig ausgeschieden sind, bedarf es der
Genehmigung der obersten Reichsbehörde.
Pensionirung der Beamten. Anspruch auf Pension.
§. 34.
- Jeder Beamte, welcher sein Diensteinkommen aus der Reichskasse
bezieht, erhält aus der letzteren eine lebenslängliche Pension, wenn er
nach einer Dienstzeit von wenigstens zehn Jahren in Folge eines
körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder
geistigen Kräfte zu der Erfüllung seiner Amtspflichten dauernd unfähig
ist, und deshalb in den Ruhestand versetzt wird.
§. 35.
- Der Reichskanzler, der Präsident des Reichskanzler-Amts, der Chef
der Kaiserlichen Admiralität und der Staatssekretär im Auswärtigen Amte
können jederzeit auch ohne eingetretene Dienstunfähigkeit ihre
Entlassung erhalten und fordern. Der Anspruch auf Pension beginnt, wenn
der Ausgeschiedene mindestens zwei Jahre das betreffende Amt bekleidet
hat. Der Mindestbetrag der Pension ist ein Viertel des etatsmäßigen
Gehaltes. Im Uebrigen gelten für die Höhe und den Bezug der Pension die
Vorschriften dieses Gesetzes.
§. 36.
- Ist die Dienstunfähigkeit (§. 34) die Folge einer Krankheit,
Verwundung oder sonstigen Beschädigung, welche der Beamte bei Ausübung
des Dienstes oder aus Veranlassung desselben ohne eigene Verschuldung
sich zugezogen hat, so tritt die Pensionsberechtigung auch bei kürzerer
als zehnjähriger Dienstzeit ein.
§. 37.
- Die unter dem Vorbehalt des Widerrufs oder der Kündigung
angestellten Beamten haben einen Anspruch auf Pension nach Maßgabe
dieses Gesetzes nur dann, wenn sie eine in den Besoldungs-Etats
aufgeführte Stelle bekleiden; es kann ihnen jedoch, wenn sie eine solche
Stelle nicht bekleiden, bei ihrer Versetzung in den Ruhestand eine
Pension bis auf Höhe der durch dieses Gesetz bestimmten Sätze bewilligt
werden.
§. 38.
- Reichsbeamte, deren Zeit und Kräfte durch die ihnen übertragenen
Geschäfte nur nebenbei in Anspruch genommen, oder welche ausdrücklich
nur auf eine bestimmte Zeit oder für ein seiner Natur nach
vorübergehendes Geschäft angenommen werden, erwerben keinen Anspruch auf
eine Pension nach den Bestimmungen dieses Gesetzes.
- Darüber, ob eine Dienststellung eine solche ist, daß sie die Zeit
und die Kräfte eines Beamten nur nebenbei in Anspruch nimmt, entscheidet
bei der Dienstübertragung die dem Beamten vorgesetzte Dienstbehörde.
§. 39.
- Wird außer dem im §. 36 bezeichneten Falle ein Beamter vor
Vollendung des zehnten Dienstjahres dienstunfähig und deshalb in den
Ruhestand versetzt, so kann demselben bei vorhandener Bedürftigkeit
durch Beschluß des Bundesrathes eine Pension entweder auf bestimmte Zeit
oder lebenslänglich bewilligt werden.
Anspruch auf Umzugskosten.
§. 40.
- Hat der in den Ruhestand oder in den einstweiligen Ruhestand
versetzte Beamte seinen dienstlichen Wohnsitz im Auslande, so sind
demselben die Kosten des Umzuges nach dem innerhalb des Reichs von ihm
gewählten Wohnorte zu gewähren.
Betrag der Pension.
§. 41.
- Die Pension beträgt, wenn die Versetzung in den Ruhestand nach
vollendetem zehnten, jedoch vor vollendetem elften Dienstjahre eintritt,
20/80 und steigt von da ab mit jedem weiter zurückgelegten Dienstjahre um 1/80 des in den §§. 42 bis 44 bestimmten Diensteinkommens.
- Ueber den Betrag von 60/80 dieses Einkommens hinaus findet eine Steigerung nicht statt.
- In dem im §. 36 erwähnten Falle beträgt die Pension stets 20/80, im Falle des §. 39 höchstens 20/80 des vorbezeichneten Diensteinkommens.
- Bei jeder Pension werden überschießende Thalerbrüche auf volle Thaler abgerundet.
§. 42.
- Der Berechnung der Pension wird das von dem Beamten zuletzt bezogene
gesammte Diensteinkommen, soweit es nicht zur Bestreitung von
Repräsentations- oder Dienstaufwandskosten gewährt wird, nach Maßgabe
der folgenden näheren Bestimmungen zu Grunde gelegt:
- 1) Feststehende Dienstemolumente, namentlich freie Dienstwohnung,
sowie die anstatt derselben gewährte Miethsentschädigung, Feuerungs- und
Erleuchtungsmaterial, Naturalbezüge an Getreide, Winterfutter u. s. w.,
sowie der Ertrag von Dienstgrundstücken kommen nur insoweit zur
Anrechnung, als deren Werth in den Besoldungs-Etats auf die
Geldbesoldung des Beamten in Rechnung gestellt oder zu einem bestimmten
Geldbetrage als anrechnungsfähig bezeichnet ist.
- 2) Dienstemolumente, welche ihrer Natur nach steigend und fallend
sind, werden nach den in den Besoldungs-Etats oder sonst bei Verleihung
des Rechts auf diese Emolumente deshalb getroffenen Festsetzungen und in
Ermangelung solcher Festsetzungen nach ihrem durchschnittlichen Betrage
während der drei letzten Kalenderjahre vor dem Jahre, in welchem die
Pension festgesetzt wird, zur Anrechnung gebracht.
- 3) Blos zufällige Diensteinkünfte, wie widerruflich Tantième,
Kommissionsgebühren, außerordentliche Remunerationen, Gratifikationen
und dergleichen kommen nicht zur Berechnung.
- 4) Bei den servisberechtigten Militärbeamten wird der mittlere
Stellen- beziehungsweise Chargen- (Personal) Servis als Theil des
Gehalts betrachtet.
- 5) Das gesammte zur Berechnung zu ziehende Diensteinkommen einer
Stelle darf den Betrag des höchsten Normalgehalts derjenigen
Diensteskategorie, zu welcher die Stelle gehört, nicht übersteigen.
- Ohne diese Beschränkung kommen jedoch solche Gehaltstheile oder
Besoldungszulagen, welche zur Ausgleichung eines von dem betreffenden
Beamten in früherer Stellung bezogenen Diensteinkommens demselben mit
Pensionsberechtigung gewährt sind, zur vollen Anrechnung.
- 6) Wenn das nach den Bestimmungen dieses Paragraphen ermittelte
Einkommen eines Beamten insgesammt mehr als 4000 Thaler beträgt, wird
von dem überschießenden Betrage nur die Hälfte in Anrechnung gebracht.
- Die Pension für die einstweilen in den Ruhestand versetzten Beamten
wird von dem zur Zeit ihrer Versetzung in den Ruhestand bezogenen
gesammten Diensteinkommen berechnet.
§. 43.
- Ein Beamter, welcher früher ein mit einem höheren Diensteinkommen
verbundenes Amt bekleidet und dieses Einkommen wenigstens ein Jahr
bezogen hat, erhält, sofern der Eintritt oder die Versetzung in ein Amt
von geringerem Diensteinkommen nicht lediglich auf seinen im eigenen
Interesse gestellten Antrag erfolgt oder aber als Strafe auf Grund des
§. 75 gegen ihn verhängt ist, bei seiner Versetzung in den Ruhestand
eine nach Maßgabe des früheren höheren Diensteinkommens unter
Berücksichtigung der gesammten Dienstzeit berechnete Pension. Jedoch
soll die gesammte Pension das letzte pensionsberechtigte Diensteinkommen
nicht übersteigen.
§. 44.
- Das mit Nebenämtern oder Nebengeschäften verbundene Einkommen
begründet nur dann einen Anspruch auf Pension, wenn eine etatsmäßige
Stelle als Nebenamt bleibend verliehen ist.
Berechnung der Dienstzeit.
§. 45.
- Die Dienstzeit wird vom Tage der ersten eidlichen Verpflichtung für den Reichsdienst an gerechnet.
- Kann jedoch ein Beamter nachweisen, daß seine Vereidigung erst nach
seinem Eintritte in den Reichsdienst stattgefunden hat, so wird die
Dienstzeit von dem letzteren Zeitpunkte an gerechnet.
§. 46.
- Bei Berechnung der Dienstzeit kommt auch die Zeit in Anrechnung, während welcher ein Beamter
- 1) unter Bezug von Wartegeld im einstweiligen Ruhestande, oder
- 2) im Dienste eines Bundesstaates oder der Regierung eines zu einem Bundesstaate gehörenden Gebiets sich befunden hat, oder
- 3) als anstellungsberechtigte ehemalige Militärperson nur vorläufig
oder auf Probe im Civildienste des Reichs, eines Bundesstaates, oder der
Regierung eines zu einem Bundesstaat gehörenden Gebiets beschäftigt
worden ist, oder
- 4) eine praktische Beschäftigung außerhalb des Dienstes des Reichs
oder eines Bundesstaates ausübte, insofern und insoweit diese
Beschäftigung vor Erlangung der Anstellung in einem Reichs- oder
unmittelbaren Staatsamte behufs der technischen Ausbildung in den
Prüfungsvorschriften ausdrücklich angeordnet ist.
- Im Falle der Nr. 2 wird die Dienstzeit nach den für die Berechnung
der Dienstzeit im Reichsdienste gegebenen Bestimmungen berechnet.
§. 47.
- Der Civildienstzeit wird die Zeit des aktiven Militärdienstes hinzugerechnet.
§. 48.
- Die Dienstzeit, welche vor den Beginn des achtzehnten Lebensjahres fällt, bleibt außer Berechnung.
- Nur die in die Dauer eines Krieges fallende und bei einem mobilen
oder Ersatz-Truppentheile abgeleistete Militärdienstzeit kommt, ohne
Rücksicht auf das Lebensalter, zur Anrechnung.
- Als Kriegszeit gilt in dieser Beziehung die Zeit vom Tage einer
angeordneten Mobilmachung, auf welche ein Krieg folgt, bis zum Tage der
Demobilmachung.
§. 49.
- Für jeden Feldzug, an welchem ein Beamter im Reichsheere, in der
Kaiserlichen Marine oder in der Armee eines Bundesstaates derart
theilgenommen hat, daß er wirklich vor den Feind gekommen, oder in
dienstlicher Stellung den mobilen Truppen in das Feld gefolgt, oder auf
einem zur Verwendung gegen den Feind bestimmten Schiffe oder Fahrzeuge
der Kaiserlichen Marine eingeschifft gewesen ist, wird demselben zu der
wirklichen Dauer der Dienstzeit ein Jahr hinzugerechnet.
- Ob eine militärische Unternehmung in dieser Beziehung als ein
Feldzug anzusehen ist, und inwiefern bei Kriegen von längerer Dauer
mehrere Kriegsjahre in Anrechnung kommen sollten, darüber wird in jedem
Falle durch den Kaiser Bestimmung getroffen. Für die Vergangenheit
bewendet es bei den hierüber in den einzelnen Bundesstaaten getroffenen
Bestimmungen.
§. 50.
- Inwieweit die Zeit eines Festungsarrestes oder einer
Kriegsgefangenschaft angerechnet werden könne, ist nach den für die
Pensionirung der Militärpersonen des Reichsheeres und der Kaiserlichen
Marine geltenden gesetzlichen Bestimmungen zu bemessen.
§. 51.
- Den gesandtschaftlichen und den besoldeten Konsulatsbeamten, welche
in außereuropäischen Ländern eine längere als einjährige Verwendung
gefunden haben, wird die daselbst zugebrachte Dienstzeit bei Verwendung
in Ost- und Mittelasien, Mittel- und Südamerika bei der Pensionirung
doppelt in Anrechnung gebracht.
- Bei Verwendung von gesandtschaftlichen oder von besoldeten
Konsulatsbeamten in anderen außereuropäischen Ländern als den
vorbezeichneten ist es dem Beschlusse des Bundesraths vorbehalten, dem
Vorstehenden entsprechende Bestimmungen zu treffen.
§. 52.
- Mit Genehmigung des Bundesraths kann nach Maßgabe der Bestimmgen in
den §§. 45 bis 49 die Zeit angerechnet werden, während welcher ein
Beamter
- 1) sei es im In- oder Auslande als Sachwalter oder Notar fungirt, im
Gemeinde-, Kirchen- oder Schuldienste oder im Dienste einer
landesherrlichen Haus- oder Hofverwaltung sich befunden, oder
- 2) im Dienste eines dem Reiche nicht angehörigen Staates gestanden hat, oder
- 3) außerhalb des Dienstes des Reichs oder eines Bundesstaates
praktisch beschäftigt gewesen ist, insofern und insoweit diese
Beschäftigung vor Erlangung der Anstellung in einem Reichs- oder
unmittelbaren Staatsamte herkömmlich war.
Nachweis der Dienstunfähigkeit.
§. 53.
- Zum Erweise der Dienstunfähigkeit eines seine Versetzung in den
Ruhestand nachsuchenden Reichsbeamten ist die Erklärung der demselben
unmittelbar vorgesetzten Dienstbehörde erforderlich, daß sie nach
pflichtmäßigem Ermessen den Beamten für unfähig halte, seine
Amtspflichten ferner zu erfüllen.
- Inwieweit andere Beweismittel zu erfordern oder der Erklärung der
unmittelbar vorgesetzten Behörde entgegen für ausreichend zu erachten
sind, hängt von dem Ermessen der über die Versetzung in den Ruhestand
entscheidenden Behörde ab.
§. 54.
- Die Bestimmung darüber, ob und zu welchem Zeitpunkte dem Antrage
eines Beamten auf Versetzung in den Ruhestand stattzugeben ist, sowie ob
und welche Pension demselben zusteht, erfolgt durch die oberste
Reichsbehörde. Bei denjenigen Beamten, welche eine Kaiserliche
Bestallung erhalten haben, ist die Genehmigung des Kaisers zur
Versetzung in den Ruhestand erforderlich.
Zahlbarkeit der Pensionen.
§. 55.
- Die Versetzung in den Ruhestand tritt, sofern nicht auf den Antrag
oder mit ausdrücklicher Zustimmung des Reichsbeamten ein früherer
Zeitpunkt festgesetzt wird, mit dem Ablauf des Vierteljahres ein,
welches auf den Monat folgt, in welchem dem Beamten die Entscheidung
über seine Versetzung in den Ruhestand und die Höhe der ihm etwa
zustehenden Pension (§. 54) bekannt gemacht worden ist.
§. 56.
- Die Pensionen werden monatlich im voraus gezahlt.
Kürzung, Einziehung und Wiedergewährung der Pensionen.
§. 57.
- Das Recht auf den Bezug der Pension ruht:
- 1) wenn ein Pensionair das deutsche Indigenat verliert, bis zu etwaiger Wiedererlangung desselben;
- 2) wenn und so lange ein Pensionair im Reichs- oder im Staatsdienste
ein Diensteinkommen bezieht, insoweit, als der Betrag dieses neuen
Diensteinkommens unter Hinzurechnung der Pension den Betrag des von dem
Beamten vor der Pensionirung bezogenen Diensteinkommens übersteigt.
§. 58.
- Ein Pensionair, welcher in eine an sich zur Pension berechtigende
Stellung des Reichsdienstes wieder eingetreten ist (§. 57 Nr. 2),
erwirbt für den Fall des Zurücktretens in den Ruhestand den Anspruch auf
Gewährung einer nach Maßgabe seiner nunmehrigen verlängerten Dienstzeit
und des in der neuen Stellung bezogenen Diensteinkommens berechnete
Pension nur dann, wenn die neu hinzutretende Dienstzeit wenigstens ein
Jahr betragen hat.
- Mit der Gewährung einer hiernach neu berechneten Pension fällt bis
auf Höhe des Betrages derselben das Recht auf den Bezug der früheren
Pension hinweg.
§. 59.
- Erdient ein Pensionair, welcher in eine an sich zur Pension
berechtigende Stellung des Staatsdienstes eingetreten ist, in dieser
Stellung eine Pension, so findet neben derselben der Fortbezug der auf
Grund dieses Gesetzes gewährten Pension nur in dem durch §. 57 Nr. 2
begrenzten Umfange statt.
§. 60.
- Die Einziehung, Kürzung oder Wiedergewährung der Pension auf Grund
der Bestimmungen in den §§. 57 bis 59 tritt mit dem Beginn desjenigen
Monats ein, welcher auf das eine solche Veränderung nach sich ziehende
Ereigniß folgt.
- Im Falle vorübergehender Wiederbeschäftigung im Reichs- oder im
Staatsdienste gegen Tagegelder oder eine anderweite Entschädigung findet
die im Schlußsatze des §. 30 enthaltene Vorschrift Anwendung.
Zwangsweise Versetzung in den Ruhestand.
§. 61.
- Ein Reichsbeamter, welcher durch Blindheit, Taubheit oder ein
sonstiges körperliches Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen
oder geistigen Kräfte zu der Erfüllung seiner Amtspflichten dauernd
unfähig ist, soll in den Ruhestand versetzt werden.
§. 62.
- Sucht der Beamte in einem solchen Falle seine Versetzung in den
Ruhestand nicht nach, so wird ihm oder seinem nötigenfalls hierzu
besonders zu bestellenden Kurator von der vorgesetzten Dienstbehörde
unter Angabe der Gründe der Pensionirung und des zu gewährenden
Pensionsbetrages eröffnet, daß der Fall seiner Versetzung in den
Ruhestand vorliege.
§. 63.
- Wenn der Beamte gegen die ihm gemachte Eröffnung (§. 62) innerhalb
sechs Wochen keine Einwendung erhoben hat, so wird in derselben Weise
verfügt, als wenn er seine Pensionirung selbst nachgesucht hätte.
- Die Zahlung des vollen Gehalts dauert bis zum Ablaufe desjenigen
Vierteljahres, welches auf den Monat folgt, in dem ihm die Verfügung
über die erfolgte Versetzung in den Ruhestand mitgetheilt ist.
§. 64.
- Werden von dem Beamten gegen die Versetzung in den Ruhestand
Einwendungen erhoben, so beschließt die oberste Reichsbehörde, ob dem
Verfahren Fortgang zu geben sei.
- In diesem Falle hat der damit von der obersten Reichsbehörde zu
beauftragende Beamte die streitigen Thatsachen zu erörtern, die
erforderlichen Zeugen und Sachverständigen eidlich zu vernehmen, und dem
zu pensionirenden Beamten oder dessen Kurator zu gestatten, den
Vernehmungen beizuwohnen.
- Zum Schluß ist der zu pensionirende Beamte oder dessen Kurator über
das Ergebniß der Ermittelungen mit seiner Erklärung und seinem Antrage
zu hören.
- Zu den Verhandlungen ist ein vereideter Protokollführer zuzuziehen.
§. 65.
- Die geschlossenen Akten werden der obersten Reichsbehörde
eingereicht, welche geeigneten Falles eine Vervollständigung der
Ermittelungen anordnet.
- Die baaren Auslagen für die durch die Schuld des zu pensionirenden
Beamten veranlaßten erfolglosen Ermittelungen fallen demselben zur Last.
§. 66.
- Hat der Beamte eine Kaiserliche Bestallung erhalten, so erfolgt die
Entscheidung über die Versetzung in den Ruhestand vom Kaiser im
Einvernehmen mit dem Bundesrath.
- In Betreff der übrigen Beamten steht die Entscheidung der obersten
Reichsbehörde zu. Gegen diese Entscheidung hat der Beamte binnen einer
Frist von vier Wochen nach deren Empfang den Rekurs an den Bundesrath.
Des Rekursrechts ungeachtet kann der Beamte von der obersten
Reichsbehörde sofort der weiteren Amtsverwaltung vorläufig enthoben
werden.
§. 67.
- Die Zahlung des vollen Gehalts dauert bis zum Ablauf des
Vierteljahres, das auf den Monat folgt, in welchem dem in Ruhestand
versetzten Beamten die Entscheidung des Kaisers oder der obersten
Reichsbehörde zugestellt worden ist.
§. 68.
- Ist ein Beamter vor dem Zeitpunkte, mit welchem die
Pensionsberechtigung für ihn eingetreten sein würde, dienstunfähig
geworden, so kann er gegen seinen Willen nur unter Beobachtung
derjenigen Formen, welche für das förmliche Disziplinarverfahren
vorgeschrieben sind, in den Ruhestand versetzt werden.
- Wird es jedoch von der obersten Reichsbehörde mit Zustimmung des
Bundesrathes angemessen befunden, dem Beamten eine Pension zu dem
Betrage zu bewilligen, welcher ihm bei Erreichung des vorgedachten
Zeitpunktes zustehen würde, so kann die Pensionirung desselben nach den
Vorschriften der §§. 61 bis 67 erfolgen.
Bewilligung für Hinterbliebene.
§. 69.
- Hinterläßt ein Pensionair eine Wittwe oder eheliche Nachkommen, so
wird die Pension noch für den auf den Sterbemonat folgenden Monat
gezahlt. An wen die Zahlung erfolgt, bestimmt die oberste Reichsbehörde.
- Die Zahlung der Pension für den auf den Sterbemonat folgenden Monat
kann mit Genehmigung der obersten Reichsbehörde auch dann stattfinden,
wenn der Verstorbene Eltern, Geschwister, Geschwisterkinder oder
Pflegekinder, deren Ernährer er gewesen ist, in Bedürftigkeit
hinterläßt, oder wenn der Nachlaß nicht ausreicht, um die Kosten der
letzten Krankheit und der Beerdigung zu decken.
- Der über den Sterbemonat hinaus gewährte einmonatliche Betrag der Pension kann nicht Gegenstand der Beschlagnahme sein.
Transitorische Bestimmungen.
§. 70.
- Ist die nach Maßgabe dieses Gesetzes bemessene Pension geringer als
die Pension, welche dem Beamten hätte gewährt werden müssen, wenn er vor
dem Erlasse dieses Gesetzes nach den damals für ihn geltenden
Bestimmungen pensionirt worden wäre, so wird die letztere Pension an
Stelle der ersteren bewilligt.
§. 71.
- Insofern vor der Uebernahme eines Beamten in den Reichsdienst
hinsichtlich der aus den früheren Dienstverhältnissen demselben
erwachsenden Pensions-Ansprüche mittelst eines vor dem Erlasse dieses
Gesetzes abgeschlossenen Staatsvertrages besondere Festsetzungen
getroffen sind, sollen diese Festsetzungen auch für die Berechnung der
jenem Beamten demnächst aus der Reichskasse zu gewährenden Pension
maßgebend sein. Indeß sollen statt der gedachten besonderen Bestimmungen
die im gegenwärtigen Gesetze enthaltenen Vorschriften insoweit
Anwendung finden, als sie für den Beamten günstiger sind.
Allgemeine Bestimmungen über Dienstvergehen und deren Bestrafung.
§. 72.
- Ein Reichsbeamter, welcher die ihm obliegenden Pflichten (§. 10)
verletzt, begeht ein Dienstvergehen und hat die Disziplinarbestrafung
verwirkt.
§. 73.
- Die Disziplinarstrafen bestehen in:
- 1) Ordnungsstrafen,
- 2) Entfernung aus dem Amte.
§. 74.
- Ordnungsstrafen sind:
- 1) Warnung,
- 2) Verweis,
- 3) Geldstrafe,
- bei besoldeten Beamten bis zum Betrage des einmonatlichen Diensteinkommens, bei unbesoldeten bis zu dreißig Thalern.
- Geldstrafe kann mit Verweis verbunden werden.
§. 75.
- Die Entfernung aus dem Amte kann bestehen:
-
- 1) In Strafversetzung.
- Dieselbe erfolgt durch Versetzung in ein anderes Amt von gleichem
Range, jedoch mit Verminderung des Diensteinkommens um höchstens ein
Fünftel. Statt der Verminderung des Diensteinkommens kann eine
Geldstrafe verhängt werden, welche ein Drittel des Diensteinkommens
eines Jahres nicht übersteigt.
- Die Strafversetzung wird durch die oberste Reichsbehörde in Ausführung gebracht.
-
- 2) In Dienstentlassung.
- Dieselbe hat den Verlust des Titels und Pensionsanspruchs von Rechts
wegen zur Folge. Hat vor Beendigung des Disziplinarverfahrens das
Amtsverhältniß bereits aufgehört, so wird, falls nicht der
Angeschuldigte unter Uebernahme der Kosten freiwillig auf Titel und
Pensionsanspruch verzichtet, auf deren Verlust an Stelle der
Dienstentlassung erkannt.
- Gehört der Angeschuldigte zu den Beamten, welche einen Anspruch auf
Pension haben, und lassen besondere Umstände eine mildere Beurtheilung
zu, so ist die Disziplinarbehörde ermächtigt, in ihrer Entscheidung
zugleich festzusetzen, daß dem Angeschuldigten ein Theil des
gesetzlichen Pensionsbetrages auf Lebenszeit oder auf gewisse Jahre zu
belassen sei.
§. 76.
- Welche der in den §§. 73 bis 75 bestimmten Strafen anzuwenden sei,
ist nach der größeren oder geringeren Erheblichkeit des Dienstvergehens
mit besonderer Rücksicht auf die gesammte Führung des Angeschuldigten zu
ermessen.
§. 77.
- Im Laufe einer gerichtlichen Untersuchung darf gegen den
Angeschuldigten ein Disziplinarverfahren wegen der nämlichen Thatsachen
nicht eingeleitet werden.
- Wenn im Laufe eines Disziplinarverfahrens wegen der nämlichen
Thatsachen eine gerichtliche Untersuchung gegen den Angeschuldigten
eröffnet wird, so muß das Disziplinarverfahren bis zur Beendigung des
gerichtlichen Verfahrens ausgesetzt werden.
§. 78.
- Wenn von den gewöhnlichen Strafgerichten auf Freisprechung erkannt
ist, so findet wegen derjenigen Thatsachen, welche in der gerichtlichen
Untersuchung zur Erörterung gekommen sind, ein Disziplinarverfahren nur
noch insofern statt, als dieselben an sich und ohne ihre Beziehung zu
dem gesetzlichen Thatbestande der strafbaren Handlung, welche den
Gegenstand der Untersuchung bildete, ein Dienstvergehen enthalten.
- Ist in einer gerichtlichen Untersuchung eine Verurtheilung ergangen,
welche den Verlust des Amtes nicht zur Folge gehabt hat, so bleibt
derjenigen Behörde, welche über die Einleitung des Disziplinarverfahrens
zu verfügen hat (§. 84 Abs. 1), die Entscheidung darüber vorbehalten,
ob außerdem ein Disziplinarverfahren einzuleiten oder fortzusetzen sei.
§. 79.
- Spricht das Gesetz bei Dienstvergehen, welche Gegenstand eines
Disziplinarverfahrens werden, die Verpflichtung zur Wiedererstattung
oder zum Schadensersatze oder eine sonstige civilrechtliche
Verpflichtung aus, so gehört die Klage der Betheiligten vor das
Civilgericht. Die Befugniß der vorgesetzten Behörde, einen Beamten zur
Erstattung eines widerrechtlich erhobenen oder vorenthaltenen
Werthbetrages anzuhalten, wird hierdurch nicht ausgeschlossen.
Von dem Disziplinarverfahren.
§. 80.
- Jeder Dienstvorgesetzte ist zu Warnungen und Verweisen gegen die ihm untergeordneten Reichsbeamten befugt.
§. 81.
- Geldstrafen können
- 1) von der obersten Reichsbehörde gegen alle Reichsbeamte, und zwar bis zum höchsten zulässigen Betrage (§. 74 Nr. 3),
- 2) von den derselben unmittelbar untergeordneten Behörden und Vorstehern von Behörden bis zum Betrage von zehn Thalern,
- 3) von den den letzteren untergeordneten Behörden und Vorstehern von Behörden bis zum Betrage von drei Thalern
- verhängt werden.
§. 82.
- Vor der Verhängung einer Ordnungsstrafe ist dem Beamten Gelegenheit
zu geben, sich über die ihm zur Last gelegte Verletzung seiner amtlichen
Pflichten zu verantworten.
- Die Verhängung der Ordnungsstrafen erfolgt unter Angabe der Gründe durch schriftliche Verfügung oder zu Protokoll.
- Ist eine Geldstrafe für den Fall der Nichterledigung einer
speziellen dienstlichen Verfügung binnen einer bestimmten Frist
angedroht, so kann nach Ablauf der Frist die Geldstrafe ohne Weiteres
festgesetzt werden.
§. 83.
- Gegen die Verhängung von Ordnungsstrafen findet nur Beschwerde im Instanzenzuge statt.
§. 84.
- Der Entfernung aus dem Amte muß ein förmliches Disziplinarverfahren
vorhergehen. Die Einleitung desselben wird von der obersten
Reichsbehörde verfügt.
- Das Disziplinarverfahren besteht in einer schriftlichen Voruntersuchung und einer mündlichen Verhandlung.
§. 85.
- Die oberste Reichsbehörde ernennt den untersuchungsführenden Beamten
und diejenigen Beamten, welche im Laufe des Disziplinarverfahrens die
Verrichtungen der Staatsanwaltschaft wahrzunehmen haben.
- Ist Gefahr im Verzuge, so kann die Verfügung der Einleitung des
Disziplinarverfahrens und die Ernennung des untersuchungsführenden
Beamten vorläufig von einer der im §. 81 unter Nr. 2 bezeichneten
Behörden oder einem der dort bezeichneten Beamten ausgehen. Es ist
alsdann die Genehmigung der obersten Reichsbehörde einzuholen und,
sofern diese versagt wird, das Verfahren einzustellen.
§. 86.
- Die entscheidenden Disziplinarbehörden, welche je nach Bedürfniß zusammentreten, sind
- 1) in erster Instanz die Disziplinarkammern,
- 2) in zweiter Instanz der Disziplinarhof.
§. 87.
- An folgenden Orten:
- Potsdam, Frankfurt a. O., Königsberg, Danzig, Stettin, Köslin,
Bromberg, Posen, Magdeburg, Erfurt, Breslau, Liegnitz, Oppeln, Münster,
Arnsberg, Düsseldorf, Köln, Trier, Darmstadt, Frankfurt a. M., Kassel,
Hannover, Schleswig, Leipzig, Karlsruhe, Schwerin, Lübeck und Bremen
wird je eine Disziplinarkammer errichtet.
- Durch Anordnung des Kaisers können im Einvernehmen mit dem
Bundesrath einzelne Disziplinarkammern auch an anderen Orten errichtet
werden.
- Der Disziplinarhof tritt am Sitze des Reichs-Oberhandelsgerichts zusammen.
§. 88.
- Die Bezirke der Disziplinarkammern werden vom Kaiser im Einvernehmen mit dem Bundesrathe abgegrenzt.
- Zuständig im einzelnen Falle ist die Disziplinarkammer, in deren
Bezirk der Angeschuldigte zur Zeit der Einleitung des förmlichen
Disziplinarverfahrens seinen dienstlichen Wohnsitz hat, und wenn dieser
Wohnsitz im Auslande sich befindet, die Disziplinarkammer in Potsdam.
- Streitigkeiten über die Zuständigkeit verschiedener Disziplinarkammern werden vom Disziplinarhof entschieden.
§. 89.
- Jede Disziplinarkammer besteht aus sieben Mitgliedern. Der Präsident
und wenigstens drei andere Mitglieder müssen in richterlicher Stellung
in einem Bundesstaate sein.
- Die mündliche Verhandlung und Entscheidung in den einzelnen
Disziplinarsachen erfolgt durch fünf Mitglieder. Der Vorsitzende und
wenigstens zwei Beisitzer müssen zu den richterlichen Mitgliedern
gehören.
§. 90.
- Wenn auf den Antrag des Beamten der Staatsanwaltschaft oder des
Angeschuldigten der Disziplinarhof das Vorhandensein von Gründen
anerkennt, welche die Unbefangenheit der zuständigen Disziplinarkammer
zweifelhaft machen, so tritt eine andere durch den Disziplinarhof
ernannte Disziplinarkammer an deren Stelle.
§. 91.
- Der Disziplinarhof besteht aus elf Mitgliedern, von denen wenigstens
vier zu den Bevollmächtigten zum Bundesrathe, der Präsident und
wenigstens fünf zu den Mitgliedern des Reichs-Oberhandelsgerichts
gehören müssen.
- Die mündliche Verhandlung und Entscheidung in den einzelnen
Disziplinarsachen erfolgt durch sieben Mitglieder. Der Vorsitzende und
wenigstens drei Beisitzer müssen zu den richterlichen Mitgliedern
gehören.
§. 92.
- Die Geschäftsordnung bei den Disziplinarbehörden, insbesondere die
Befugnisse des Präsidenten und die Reihenfolge, in welcher die
richterlichen Mitglieder an den einzelnen Sitzungen theilzunehmen haben,
wird durch ein Regulativ geordnet, welches der Disziplinarhof zu
entwerfen und dem Bundesrath zur Bestätigung einzureichen hat.
§. 93.
- Die Mitglieder der Disziplinarkammern und des Disziplinarhofs werden
für die Dauer der zur Zeit ihrer Ernennung von ihnen bekleideten
Reichs- oder Staatsämter vom Bundesrath gewählt, vom Kaiser ernannt, und
für die Erfüllung der Obliegenheiten ihres Amts verpflichtet.
§. 94.
- In der Voruntersuchung wird der Angeschuldigte unter Mittheilung der
Anschuldigungspunkte vorgeladen und der Beamte der Staatsanwaltschaft
zugezogen. Dieselben werden, wenn sie erscheinen, mit ihren Erklärungen
und Anträgen gehört. Die Zeugen werden, nach Befinden eidlich,
vernommen, und die sonstigen Beweise erhoben. Den Vernehmungen der
Zeugen darf weder der Beamte der Staatsanwaltschaft noch der
Angeschuldigte beiwohnen.
- Die Verhaftung, vorläufige Festnahme oder Vorführung des Angeschuldigten ist unzulässig.
§. 95.
- Ueber jede Untersuchungshandlung ist durch einen vereideten
Protokollführer ein Protokoll aufzunehmen. Den vernommenen Personen ist
ihre Aussage unmittelbar nach der Protokollirung vorzulesen, um
denselben Gelegenheit zur Berichtigung und Ergänzung zu geben.
§. 96.
- Wenn der Voruntersuchungs-Beamte die Voruntersuchung für geschlossen
erachtet, so theilt er die Akten dem Beamten der Staatsanwaltschaft
mit. Hält dieser eine Ergänzung der Voruntersuchung für erforderlich, so
hat er dieselbe bei dem Voruntersuchungs-Beamten zu beantragen,
welcher, wenn er entgegengesetzter Ansicht ist, die Entscheidung der
obersten Reichsbehörde einzuholen hat.
§. 97.
- Nach geschlossener Voruntersuchung ist dem Angeschuldigten der
Inhalt der erhobenen Beweismittel mitzutheilen. Darauf werden die Akten
an die oberste Reichsbehörde eingesendet.
§. 98.
- Die oberste Reichsbehörde kann mit Rücksicht auf den Ausfall der
Voruntersuchung das Verfahren einstellen, und geeigneten Falls eine
Ordnungsstrafe verhängen.
- Der Angeschuldigte erhält Ausfertigung des darauf bezüglichen, mit Gründen zu unterstützenden Beschlusses.
§. 99.
- Die Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens wegen der nämlichen
Anschuldigungspunkte ist nur auf Grund neuer Beweise und während eines
Zeitraums von fünf Jahren, vom Tage des Einstellungsbeschlusses ab,
zulässig.
- War eine Ordnungsstrafe verhängt (§. 98), so findet eine Wiederaufnahme des eingestellten Disziplinarverfahrens nicht statt.
§. 100.
- Die Einstellung des Verfahrens muß erfolgen, sobald der
Angeschuldigte seine Entlassung aus dem Reichsdienste mit Verzicht auf
Titel, Gehalt und Pensionsanspruch nachsucht, vorausgesetzt, daß er
seine amtlichen Geschäfte bereits erledigt und über eine ihm etwa
anvertraute Verwaltung von Reichsvermögen vollständige Rechnung gelegt
hat.
- Die Verhängung einer Ordnungsstrafe ist in diesem Falle nicht
zulässig. Die Kosten des eingestellten Verfahrens (§. 124) fallen dem
Angeschuldigten zur Last.
§. 101.
- Beschließt die oberste Reichsbehörde die Verweisung der Sache vor
die Disziplinarkammer, so wird der Angeschuldigte nach Eingang einer von
dem Beamten der Staatsanwaltschaft anzufertigenden
Anschuldigungsschrift unter abschriftlicher Mittheilung der letzteren zu
einer von dem Vorsitzenden der Disziplinarkammer zu bestimmenden
Sitzung zur mündlichen Verhandlung vorgeladen.
- Der Angeschuldigte kann sich des Beistandes eines Advokaten oder
Rechtsanwalts als Vertheidigers bedienen. Dem Letzteren ist die Einsicht
der Voruntersuchungs-Akten zu gestatten.
§. 102.
- Die mündliche Verhandlung findet statt, auch wenn der Angeschuldigte
nicht erschienen ist. Derselbe kann sich durch einen Advokaten oder
Rechtsanwalt vertreten lassen. Der Disziplinarkammer steht es jedoch,
sofern der Angeschuldigte seinen dienstlichen Wohnsitz im Deutschen
Reiche hat, jederzeit zu, das persönliche Erscheinen des Angeschuldigten
unter der Warnung zu verordnen, daß bei seinem Ausbleiben ein
Vertheidiger zu seiner Vertretung nicht werde zugelassen werden.
§. 103.
- Die mündliche Verhandlung ist öffentlich. Die Oeffentlichkeit kann
aus besonderen Gründen auf den Antrag des Angeschuldigten, des Beamten
der Staatsanwaltschaft oder von Amts wegen durch Beschluß der
Disziplinarkammer ausgeschlossen oder auf bestimmte Personen beschränkt
werden. Die Gründe der Ausschließung oder Beschränkung der
Oeffentlichkeit müssen aus dem Sitzungsprotokoll hervorgehen.
§. 104.
- Bei der mündlichen Verhandlung wird der wesentliche Inhalt der
Anschuldigungsschrift von dem Beamten der Staatsanwaltschaft mündlich
vorgetragen. Der Angeschuldigte wird vernommen. Gesteht derselbe die den
Gegenstand der Anschuldigung bildenden Thatsachen ein und walten gegen
die Glaubwürdigkeit seines Geständnisses keine Bedenken ob, so
beschließt die Disziplinarkammer, daß eine Beweisverhandlung nicht
stattfinde.
- Andernfalls giebt ein von dem Vorsitzenden der Disziplinarkammer aus
der Zahl der Mitglieder ernannter Berichterstatter auf Grund der
bisherigen Verhandlungen eine Darstellung der Beweisaufnahme, soweit sie
sich auf die in der Anschuldigungsschrift enthaltenen
Anschuldigungspunkte bezieht.
- Zum Schluß wird der Beamte der Staatsanwaltschaft mit seinem Vor-
und Antrage und der Angeschuldigte mit seiner Vertheidigung gehört. Dem
Angeschuldigten steht das letzte Wort zu.
§. 105.
- Wenn die Disziplinarkammer vor oder im Laufe der mündlichen
Verhandlung auf den Antrag des Angeschuldigten oder des Beamten der
Staatsanwaltschaft, oder von Amts wegen die Vernehmung von Zeugen, sei
es vor der Disziplinarkammer oder durch einen beauftragten Beamten, oder
die Herbeischaffung anderer Beweismittel für angemessen erachtet, so
erläßt sie die erforderliche Verfügung und verlegt nöthigenfalls die
Fortsetzung der Verhandlung auf einen anderen Tag, welcher dem
Angeschuldigten bekannt zu machen ist.
§. 106.
- Die Vernehmung der Zeugen muß auf Antrag des Beamten der
Staatsanwaltschaft oder des Angeschuldigten in der mündlichen
Verhandlung erfolgen, sofern die Thatsachen erheblich sind, über welche
die Vernehmung stattfinden soll, und die Disziplinarkammer nicht die
Ueberzeugung gewonnen hat, daß der Antrag nur auf Verschleppung der
Sache abzielt.
§. 107.
- Stehen dem Erscheinen eines Zeugen Krankheit, große Entfernung oder
andere unabwendbare Hindernisse entgegen, so ist von der
Disziplinarkammer dessen Vernehmung durch einen damit beauftragten
Beamten unter Beiladung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten
anzuordnen.
- Als große Entfernung im Sinne dieses Gesetzes ist es nicht
anzusehen, wenn der Zeuge sich im Bezirke der entscheidenden
Disziplinarkammer aufhält.
§. 108.
- Bei der Entscheidung hat die Disziplinarkammer, ohne an positive
Beweisregeln gebunden zu sein, nach ihrer freien, aus dem Inbegriffe der
Verhandlungen und Beweise geschöpften Ueberzeugung zu beurtheilen,
inwieweit die Anschuldigung für begründet zu erachten.
- Ist die Anschuldigung nicht begründet, so spricht die
Disziplinarkammer den Angeschuldigten frei. Vorläufige Freisprechung
(Entbindung von der Instanz) ist nicht statthaft. Gegen den
freigesprochenen Angeschuldigten darf wegen der nämlichen den Gegenstand
der Anschuldigung bildenden Handlung ein Disziplinarverfahren nicht
wieder eingeleitet werden.
- Ist die Anschuldigung begründet, so kann die Entscheidung auch auf eine bloße Ordnungsstrafe lauten.
- Die Entscheidung, welche mit Gründen versehen sein muß, wird in der
Sitzung, in welcher die mündliche Verhandlung beendigt worden ist und
spätestens innerhalb der darauf folgenden vierzehn Tage verkündet. Eine
Ausfertigung der Entscheidung wird dem Angeschuldigten ertheilt.
§. 109.
- Ueber die mündliche Verhandlung wird ein Protokoll aufgenommen,
welches die Namen der Anwesenden und die wesentlichen Momente der
Verhandlung enthalten muß. Das Protokoll wird von dem Vorsitzenden und
dem Protokollführer unterzeichnet.
§. 110.
- Gegen die Entscheidung der Disziplinarkammer steht die Berufung an
den Disziplinarhof sowohl dem Beamten der Staatsanwaltschaft als dem
Angeschuldigten offen.
- Neue Thatsachen, welche die Grundlage einer anderen Beschuldigung
bilden, dürfen in der Berufungsinstanz nicht vorgebracht werden.
§. 111.
- Die Anmeldung der Berufung geschieht zu Protokoll oder schriftlich
bei der Disziplinarkammer, welche die anzugreifende Entscheidung
erlassen hat. Von Seiten des Angeschuldigten kann sie auch durch einen
Bevollmächtigten geschehen.
- Die Frist zu dieser Anmeldung ist eine vierwöchentliche. Sie beginnt
für den Beamten der Staatsanwaltschaft mit dem Ablaufe des Tages, an
welchem die Entscheidung verkündet, für den Angeschuldigten mit dem
Ablaufe des Tages, an welchem ihm die Ausfertigung der Entscheidung
zugestellt worden ist.
§. 112.
- Zur schriftlichen Rechtfertigung der Berufung steht demjenigen, der
dieselbe rechtzeitig angemeldet hat, eine vierzehntägige Frist, vom
Ablaufe der Anmeldungsfrist gerechnet, offen.
§. 113.
- Die Anmeldung der Berufung und die etwa eingegangene
Berufungsschrift wird dem Gegner in Abschrift zugestellt, und falls dies
der Beamte der Staatsanwaltschaft ist, in Urschrift vorgelegt.
- Innerhalb vierzehn Tagen nach erfolgter Zustellung oder Vorlegung kann der Gegner eine Beantwortungsschrift einreichen.
§. 114.
- Befindet sich der Angeschuldigte im Auslande, so hat die
Disziplinarkammer die Fristen zur Anmeldung und Rechtfertigung seiner
Berufung und zur Beantwortung der Berufung des Beamten der
Staatsanwaltschaft mit Rücksicht auf die Entfernung des dienstlichen
Wohnsitzes des Angeschuldigten von Amts wegen zu erweitern und die
betreffende Verfügung gleichzeitig mit dem Urtheil beziehungsweise mit
der Anmeldung der Berufung des Beamten der Staatsanwaltschaft dem
Angeschuldigten zuzustellen.
§. 115.
- Die Fristen zur Rechtfertigung und Beantwortung der Berufung (§§.
112 bis 114) können auf Antrag von der Disziplinarkammer verlängert
werden.
§. 116.
- Nach Ablauf der in den §§. 113 bis 115 bestimmten Fristen werden die Akten an den Disziplinarhof eingesandt.
- Der Disziplinarhof kann die zur Aufklärung der Sache etwa
erforderlichen Verfügungen erlassen. Er bestimmt sodann eine Sitzung zur
mündlichen Verhandlung, zu welcher der Angeschuldigte vorzuladen und
der Beamte der Staatsanwaltschaft zuzuziehen ist.
- In der mündlichen Verhandlung giebt zunächst ein von dem
Vorsitzenden des Disziplinarhofs aus der Zahl seiner Mitglieder
ernannter Berichterstatter eine Darstellung der bis dahin
stattgefundenen, auf die in der Anschuldigungsschrift enthaltenen
Anschuldigungspunkte bezüglichen Verhandlungen.
- Im Uebrigen wird nach Maßgabe der in den §. 101 Absatz 2, §. 102, §.
103, §. 104 Absatz 2 und 3, §. 105, §. 106, §. 107 Absatz 1, §. 108 und
§. 109 enthaltenen Bestimmungen verfahren.
§. 117.
- Ein anderes Rechtsmittel, als die Berufung, insbesondere auch das
Rechtsmittel des Einspruchs (Opposition oder Restitution) findet im
Disziplinarverfahren nicht statt.
§. 118.
- Der Kaiser hat das Recht, die von den Disziplinarbehörden verhängten Strafen zu erlassen oder zu mildern.
§. 119.
- Die Vorschriften der §§. 84 bis 118 gelten auch in Ansehung der einstweilig in den Ruhestand versetzten Beamten.
- Der letzte dienstliche Wohnsitz derselben ist für die Zuständigkeit im Disziplinarverfahren entscheidend.
Besondere Bestimmungen in Betreff der Beamten der Militärverwaltung.
§. 120.
- Gegen Militärbeamte, welche ausschließlich unter
Militärbefehlshabern stehen, verfügt der kommandirende General des
Armeekorps, beziehungsweise der Chef der Kaiserlichen Admiralität die
Einleitung der Untersuchung und ernennt den Voruntersuchungs-Beamten.
§. 121.
- Die entscheidende Disziplinarbehörde erster Instanz ist die Militär-Disziplinarkommission.
- Für jedes Armeekorps tritt die Militär-Disziplinarkommission am
Garnisonorte des General-Kommandos zusammen. Dieselbe wird aus einem
Obersten als Vorsitzenden und sechs anderen Mitgliedern, von denen drei
zu den Stabsoffizieren, Hauptleuten oder Rittmeistern, die übrigen zu
den oberen Beamten der Militärverwaltung gehören müssen, gebildet.
- Die Militär-Disziplinarkommissionen für die Marine haben ihren Sitz
an den betreffenden Marine-Stationsorten und bestehen aus einem Kapitän
zur See als Vorsitzenden und sechs anderen Mitgliedern, von denen drei
zu den Stabsoffizieren der Marine oder zu den Kapitän-Lieutenants, die
übrigen zu den oberen Beamten der Marineverwaltung gehören müssen.
- Die Mitglieder der Kommission werden von der obersten Reichsbehörde ernannt.
§. 122.
- Die Verrichtungen der Staatsanwaltschaft bei den
Militär-Disziplinarkommissionen werden von dem Korps-Auditeur,
beziehungsweise dem Marine-Stationsauditeur wahrgenommen. Im
Behinderungsfalle wird von der obersten Reichsbehörde ein anderer
Auditeur mit der Stellvertretung beauftragt.
§. 123.
- Gegen Militärbeamte kommen in Betreff der Verfügung von
Disziplinarstrafen, die nicht in der Entfernung aus dem Amte bestehen,
die auf jene Beamten bezüglichen besonderen Bestimmungen zur Anwendung.
Dasselbe gilt von der Amtssuspension aller Beamten der Militärverwaltung
im Falle des Krieges.
Kosten des Disziplinarverfahrens.
§. 124.
- Für das Disziplinarverfahren werden weder Gebühren, noch Stempel, sondern nur baare Auslagen in Ansatz gebracht.
- Insoweit im förmlichen Disziplinarverfahren (§. 84) der
Angeschuldigte verurtheilt wird, ist er schuldig, die baaren Auslagen
des Verfahrens ganz oder theilweise zu erstatten. Ueber die
Erstattungspfllcht entscheidet das Disziplinar-Erkenntniß.
Vorläufige Dienstenthebung.
§. 125.
- Die vorläufige Dienstenthebung eines Reichsbeamten (Suspension vom Amte) tritt kraft des Gesetzes ein:
- 1) wenn im gerichtlichen Strafverfahren seine Verhaftung
beschlossen, oder gegen ihn ein noch nicht rechtskräftig gewordenes
Urtheil erlassen ist, welches den Verlust des Amtes kraft des Gesetzes
nach sich zieht;
- 2) wenn im Disziplinarverfahren eine noch nicht rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, welche auf Dienstentlassung lautet.
§. 126.
- Im Falle des §. 125 Nr. 1 dauert die Suspension bis zum Ablauf des
zehnten Tages nach Wiederaufhebung des Verhaftungsbeschlusses oder nach
eingetretener Rechtskraft desjenigen Urtheils höherer Instanz, durch
welches der angeschuldigte Beamte zu einer anderen Strafe als der
bezeichneten verurtheilt wird.
- Lautet das rechtskräftige Urtheil auf Freiheitsstrafe, so dauert die
Suspension, bis das Urtheil vollstreckt ist. Wird die Vollstreckung des
Urtheils ohne Schuld des Verurtheilten aufgehalten oder unterbrochen,
so tritt für die Zeit des Aufenthalts oder der Unterbrechung eine
Gehaltskürzung (§. 128) nicht ein. Dasselbe gilt für die im ersten
Absatze dieses Paragraphen erwähnte Zeit von zehn Tagen, wenn nicht vor
Ablauf derselben die Suspension vom Amte im Wege des
Disziplinarverfahrens beschlossen wird.
- Im Falle des §. 125 Nr. 2 dauert die Suspension bis zur Rechtskraft der in der Disziplinarsache ergehenden Entscheidung.
§. 127.
- Die oberste Reichsbehörde kann die Suspension, sobald gegen den
Beamten ein gerichtliches Strafverfahren eingeleitet oder die Einleitung
eines förmlichen Disziplinarverfahrens (§. 84) verfügt wird, oder auch
demnächst im Laufe des einen oder anderen Verfahrens bis zur
rechtskräftigen Entscheidung verfügen.
§. 128.
- Während der Suspension des Beamten wird vom Ablauf des Monats ab, in
welchem dieselbe verfügt ist, die Hälfte seines Diensteinkommens
innebehalten.
- In Fällen der Noth des Beamten ist die oberste Reichsbehörde
ermächtigt, die Innebehaltung des Diensteinkommens auf den vierten Theil
desselben zu beschränken.
- Auf die für Dienstunkosten besonders angesetzten Beträge ist bei
Berechnung des innezubehaltenden Theils vom Diensteinkommen keine
Rücksicht zu nehmen.
- Der innebehaltene Theil des Diensteinkommens ist zu den Kosten,
welche durch die Stellvertretung des Angeschuldigten verursacht werden,
der etwaige Rest zu den Untersuchungskosten (§. 124) zu verwenden. Einen
weiteren Beitrag zu den Stellvertretungskosten zu leisten, ist der
Beamte nicht verpflichtet.
§. 129.
- Der zu den Kosten (§. 128) nicht verwendete Theil des Einkommens
wird dem Beamten auch in dem Falle nachgezahlt, wo das Verfahren die
Entfernung aus dem Amte zur Folge gehabt hat.
- Dem Beamten ist auf Verlangen ein Nachweis über die Verwendung zu
ertheilen. Erinnerungen gegen die Verwendung können im Rechtswege nicht
geltend gemacht werden.
§. 130.
- Wird der Beamte freigesprochen, so muß ihm der innebehaltene Theil des Diensteinkommens vollständig nachgezahlt werden.
- Wird er nur mit einer Ordnungsstrafe belegt, so ist ihm der
innebehaltene Theil insoweit nachzuzahlen, als derselbe nicht zur
Deckung der ihn treffenden Untersuchungskosten und der Ordnungsstrafe
erforderlich ist. Ein Abzug wegen der Stellvertretungskosten findet
nicht statt.
§. 131.
- Wenn Gefahr im Verzuge ist, kann einem Beamten auch von solchen
Vorgesetzten, die seine Suspension zu verfügen nicht ermächtigt sind,
die Ausübung der Amtsverrichtungen vorläufig untersagt werden; es ist
aber darüber sofort an die oberste Reichsbehörde zu berichten.
- Diese Untersagung hat eine Kürzung des Diensteinkommens nicht zur Folge.
§. 132.
- Dem unter Gewährung des gesetzlichen Wartegeldes einstweilen in den
Ruhestand versetzten Beamten wird ein Viertel des Wartegeldes
innebehalten, wenn im Disziplinarverfahren eine noch nicht
rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, welche auf Dienstentlassung
lautet.
- Wegen der Nachzahlung des innebehaltenen Theils vom Wartegelde kommen die Grundsätze der §§. 129 und 130 zur Anwendung.
§. 133.
- Alle nach den Bestimmungen der §§. 61 bis 132 erfolgenden
Aufforderungen, Mittheilungen, Zustellungen und Vorladungen sind gültig
und bewirken den Lauf der Fristen, wenn sie unter Beobachtung der für
gerichtliche Insinuation in Strafsachen vorgeschriebenen Formen
demjenigen, an den sie ergehen, zugestellt sind. Die vereideten
Verwaltungsbeamten haben dabei den Glauben der Gerichtsboten.
- Hat der Angeschuldigte seinen dienstlichen Wohnsitz verlassen, ohne
daß seine vorgesetzte Behörde Kenntniß von seinem Aufenthalt hat, so
erfolgt die Insinuation in der letzten Wohnung des Angeschuldigten an
dem dienstlichen Wohnort desselben.
Besondere Bestimmungen über die Defekte der Beamten.
§. 134.
- Die Feststellung der Defekte an öffentlichem oder Privatvermögen,
welche bei Reichskassen oder anderen Reichsverwaltungen entdeckt werden,
ist zunächst von derjenigen Behörde zu bewirken, zu deren
Geschäftskreise die unmittelbare Aufsicht über die Kasse oder andere
Verwaltung gehört.
§. 135.
- Von dieser Behörde ist zugleich festzustellen, ob ein Reichsbeamter
und eintretenden Falls welcher Beamte nach den Vorschriften des §. 141
für den Defekt zu haften hat, und bei einem Defekt an Materialien, auf
wie hoch die zu erstattende Summe in Gelde zu berechnen ist.
§. 136.
- Ebenso (§§. 134 und 135) hat die unmittelbar vorgesetzte Behörde die
Defekte an solchem öffentlichen oder Privatvermögen festzustellen,
welches, ohne zu einer Reichskasse oder anderen Reichsverwaltung
gebracht zu sein, vermöge besonderer amtlicher Anordnung in den
Gewahrsam eines Reichsbeamten gekommen ist.
§. 137.
- Ueber den Betrag des Defekts, die Person des zum Ersatz
verpflichteten Beamten und den Grund seiner Verpflichtung ist von der in
den §§. 134 und 135 bezeichneten Behörde ein motivirter Beschluß
abzufassen.
§. 138.
- Nach Befinden der Umstände kann die Behörde auch mehrere Beschlüsse
abfassen, wenn ein Theil des Defekts sofort klar ist, der andere Theil
aber noch weitere Ermittelungen nothwendig macht, ingleichen, wenn unter
mehreren Personen die Verpflichtung der einen feststeht, die der
anderen noch zweifelhaft ist.
§. 139.
- Hat die Behörde die Eigenschaft einer höheren Reichsbehörde, so ist der Beschluß nach Maßgabe der §§. 143 und 144 vollstreckbar.
- In allen anderen Fällen unterliegt der Beschluß der Prüfung der
vorgesetzten höheren Reichsbehörde und wird erst nach deren Genehmigung
vollstreckbar.
- Von dem Beschlusse ist der obersten Reichsbehörde unverzüglich Kenntniß zu geben.
- Der obersten Reichsbehörde bleibt in allen Fällen unbenommen,
einzuschreiten und den Beschluß selbst abzufassen oder zu berichtigen.
§. 140.
- In dem abzufassenden Beschlusse ist zugleich zu bestimmen, welche
Vollstreckungs- oder Sicherheitsmaßregeln behufs des Ersatzes des
Defekts zu ergreifen sind.
- Für diese Maßregeln sind die Gesetze des Bundesstaates, in welchem dieselben erfolgen, entscheidend.
§. 141.
- Der abzufassende Beschluß kann auf die unmittelbare Verpflichtung zum Ersatz des Defekts gerichtet werden:
- 1) gegen jeden Beamten, welcher der Unterschlagung als Thäter oder
Theilnehmer nach der Ueberzeugung der Reichsbehörde überführt ist;
- 2)
- a. gegen diejenigen Beamten, welchen die Kasse u. s. w. zur Verwaltung übergeben war, und zwar auf Höhe des ganzen Defekts,
- b. gegen jeden anderen Beamten, der an der Einnahme oder Ausgabe,
der Erhebung, der Ablieferung oder dem Transport von Kassengeldern oder
anderen Gegenständen vermöge seiner dienstlichen Stellung theilzunehmen
hatte, jedoch nur auf Höhe des in seinen Gewahrsam gekommenen Betrages,
- sofern der Defekt nach der Ueberzeugung der Reichsbehörde durch grobes Versehen entstanden ist.
- Eben dies gilt gegen die in §. 136 genannten Beamten in den daselbst bezeichneten Fällen.
§. 142.
- Sind Beamte, gegen welche die zwangsweise Einziehung des Defekts
beschlossen wird, in der Verwaltung ihres Amtes, wofür sie eine
Amtskaution gestellt haben, belassen worden, so haben dieselben wegen
Ersatzes des Defekts anderweite Sicherheit zu leisten. Erfolgt die
Sicherstellung nicht, so findet die Zwangsvollstreckung zunächst nicht
in die Kaution, sondern in das übrige Vermögen statt.
§. 143.
- Die Verwaltungsbehörde ersucht die zuständigen Gerichte,
Vollstreckungsbeamten oder Hypothekenbehörden um Vollziehung des
Beschlusses.
- Diese sind, ohne auf eine Beurtheilung der Rechtmäßigkeit des
Beschlusses einzugehen, verpflichtet, wenn sonst kein Anstand obwaltet,
schleunig, ohne vorgängiges Zahlungsmandat, die Zwangsvollstreckung
auszuführen, die Beschlagnahme der zur Deckung des Defekts
erforderlichen Vermögensstücke zu verfügen und die in Antrag gebrachten
Eintragungen im Hypothekenbuche zu veranlassen.
§. 144.
- Gegen den Beschluß, wodurch ein Beamter zur Erstattung eines Defekts
für verpflichtet erklärt wird (§§. 137 und 140), steht demselben sowohl
hinsichtlich des Betrages, als hinsichtlich der Ersatzverbindlichkeit
außer der Beschwerde im Instanzenzuge der Rechtsweg zu.
- Die Frist zur Beschreitung des Rechtsweges beträgt ein Jahr, ist
eine Ausschlußfrist und beginnt mit dem Tage der dem Beamten geschehenen
Bekanntmachung des vollstreckbaren Beschlusses, oder wenn der Beamte an
seinem Wohnort nicht zu treffen ist, mit dem Tage des abgefaßten
Beschlusses.
- In dem auf die Klage des Beamten entstandenen Rechtsstreit hat das
Gericht über die Wahrheit der thatsächlichen Behauptungen der Parteien
nach seiner freien aus dem Inbegriff der Verhandlungen und Beweise
geschöpften Ueberzeugung zu entscheiden.
- Die Vorschriften der Landesgesetze über den Beweis durch Eid, sowie
über die Beweiskraft öffentlicher Urkunden und gerichtlicher
Geständnisse bleiben unberührt.
- Ob einer Partei über die Wahrheit oder Unwahrheit einer
thatsächlichen Behauptung noch ein Eid aufzuerlegen, bleibt dem Ermessen
des Gerichts überlassen.
- In der wegen des Defekts etwa eingeleiteten Untersuchung bleiben den
Beamten, insofern es auf die Bestrafung ankommt, seine Einreden gegen
den abgefaßten Beschluß auch nach Ablauf des Jahres, wenngleich sie im
Civilprozeß nicht mehr geltend gemacht werden können, vorbehalten.
§. 145.
- Das Gericht hat auf Antrag des Beamten darüber Beschluß zu fassen,
ob die Zwangsvollstreckung fortzusetzen oder einstweilen einzustellen
sei. Die einstweilige Einstellung erfolgt, wenn der Beamte glaubhaft
macht, daß die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung für ihn einen schwer
ersetzlichen Nachtheil zur Folge haben würde. Das Gericht ist jedoch
verpflichtet, falls es die Einstellung der Zwangsvollstreckung
verordnet, an Stelle derselben auf Antrag der verklagten Reichsbehörde
die erforderlichen Sicherheitsmaßregeln behufs des Ersatzes des Defekts
herbeizuführen.
§. 146.
- Wenn eine nahe und dringende Gefahr vorhanden ist, daß ein Beamter,
gegen welchen die Zwangsvollstreckung zulässig ist (§. 141), sich auf
flüchtigen Fuß setzen oder sein Vermögen der Verwendung zum Ersatz des
Defekts entziehen werde, so kann die unmittelbar vorgesetzte Behörde,
auch wenn sie nicht die Eigenschaft einer höheren Reichsbehörde hat,
oder der unmittelbar vorgesetzte Beamte das abzugsfähige Gehalt (§. 19
Nr. 1) und nöthigenfalls das übrige bewegliche Vermögen des im Eingange
bezeichneten Beamten vorläufig in Beschlag nehmen.
- Der vorgesetzten höheren Reichsbehörde ist ungesäumt Anzeige davon zu machen und deren Genehmigung einzuholen.
§. 147.
- Ist von den vorgesetzten Behörden oder Beamten gemäß §. 146 eine
Beschlagnahme erfolgt, so hat das Gericht, in dessen Bezirk die
Beschlagnahme stattgefunden hat, auf Antrag des von derselben
betroffenen Beamten anzuordnen, daß binnen einer zu bestimmenden Frist
der in den §§. 137 und 140 vorgesehene Beschluß beizubringen sei.
- Wird dieser Anordnung nicht Folge geleistet, so ist auf weiteren
Antrag des Beamten die Beschlagnahme sofort aufzuheben; andernfalls
kommen die Bestimmungen des §. 144 zur Anwendung.
§. 148.
- Für das Defektenverfahren im Verwaltungswege werden Gebühren und Stempel nicht berechnet.
Verfolgung vermögensrechtlicher Ansprüche.
§. 149.
- Ueber vermögensrechtliche Ansprüche der Reichsbeamten aus ihrem
Dienstverhältniß, insbesondere über Ansprüche auf Besoldung, Wartegeld
oder Pension, sowie über die den Hinterbliebenen der Reichsbeamten
gesetzlich gewährten Rechtsansprüche auf Bewilligungen, findet mit
folgenden Maßgaben der Rechtsweg statt.
§. 150.
- Die Entscheidung der obersten Reichsbehörde muß der Klage
vorhergehen und letztere sodann bei Verlust des Klagerechts innerhalb
sechs Monaten, nachdem dem Betheiligten die Entscheidung jener Behörde
bekannt gemacht worden, angebracht werden.
§. 151.
- Der Reichsfiskus wird durch die höhere Reichsbehörde, unter welcher
der Reichsbeamte steht oder gestanden hat, oder falls er direkt unter
der obersten Reichsbehörde steht oder gestanden hat, durch die oberste
Reichsbehörde vertreten.
- Die Klage ist bei demjenigen Gerichte anzubringen, in dessen Bezirke die betreffende Behörde ihren Sitz hat.
§. 152.
- Gegen das Urtheil erster Instanz steht den Parteien dasjenige
Rechtsmittel zu, welches bei Beschwerdegegenständen vom höchsten Werth
stattfindet. Auch die Anfechtung der Urtheile zweiter Instanz ist ohne
Rücksicht auf die Beschwerdesumme statthaft. Die Beschwerdesumme,
ingleichen die Uebereinstimmung der Urtheile erster und zweiter Instanz
kommt nur insoweit in Betracht, als davon die Entscheidung der Frage
abhängt, welches von mehreren nach den Landesgesetzen etwa zulässigen
Rechtsmitteln stattfindet.
- Das Reichs-Oberhandelsgericht entscheidet an Stelle des für das
Gebiet, in welchem die Sache in erster Instanz anhängig geworden ist,
nach den Landesgesetzen bestehenden obersten Gerichtshofes und zwar in
letzter Instanz. Soweit nicht Absatz 1 des gegenwärtigen Paragraphen
abweichende Vorschriften enthält, werden die Bestimmungen des Gesetzes, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Handelssachen vom 12. Juni 1869, sowie die Ergänzungen desselben auf die im §. 149 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ausgedehnt.
§. 153.
- Auf die im §. 144 erwähnten Rechtsstreitigkeiten finden die
Bestimmungen der §§. 151 und 152 mit der Maßgabe Anwendung, daß der
Reichsfiskus durch die höhere Reichsbehörde vertreten wird, welche den
Defektbeschluß abgefaßt oder für vollstreckbar erklärt hat (§. 139
Absatz 2). Ist die Abfassung durch die oberste Reichsbehörde geschehen,
so übernimmt diese die Vertretung des Reichsfiskus.
§. 154.
- In Rechtsstreitigkeiten über Vermögensansprüche gegen Reichsbeamte
wegen Ueberschreitung ihrer amtlichen Befugnisse oder pflichtwidriger
Unterlassung von Amtshandlungen ist sowohl dasjenige Gericht zuständig,
in dessen Bezirk der Beamte zur Zeit der Verletzung seiner Amtspflicht
seinen Wohnsitz hatte, als dasjenige, in dessen Bezirk derselbe zur Zeit
der Erhebung der Klage seinen Wohnsitz hat.
- Die Zulässigkeit der Rechtsmittel, die Zuständigkeit des
Reichs-Oberhandelsgerichts und das Verfahren vor demselben richten sich
nach den im §. 152 gegebenen Vorschriften.
§. 155.
- Die Entscheidungen der Disziplinar- und Verwaltungsbehörden darüber,
ob und von welchem Zeitpunkte ab ein Reichsbeamter aus seinem Amte zu
entfernen, einstweilig oder definitiv in den Ruhestand zu versetzen,
oder vorläufig seines Dienstes zu entheben sei, und über die Verhängung
von Ordnungsstrafen sind für die Beurtheilung der vor dem Gerichte
geltend gemachten vermögensrechtlichen Ansprüche maßgebend.
§. 156.
- Die Reichstags-Beamten haben die Rechte und Pflichten der Reichsbeamten.
- Die Anstellung der Reichstags-Beamten erfolgt durch den
Reichstags-Präsidenten, welcher die vorgesetzte Behörde derselben
bildet.
§. 157.
- Auf Personen des Soldatenstandes findet dieses Gesetz nur in den §§. 134 bis 148 Anwendung.
§. 158.
- Die Bestimmungen dieses Gesetzes über die Versetzung in ein anderes
Amt, über die einstweilige und über die zwangsweise Versetzung in den
Ruhestand, über Disziplinarbestrafung und über vorläufige
Dienstenthebung finden auf die Mitglieder des
Reichs-Oberhandelsgerichts, auf die Mitglieder des Bundesamts für das
Heimathwesen, auf die Mitglieder des Rechnungshofes des Deutschen Reichs
und auf richterliche Militär-Justizbeamte keine Anwendung.
- Außerdem haben für die Mitglieder des Reichs-Oberhandelsgerichts die
Vorschriften dieses Gesetzes über die Pensionirung und über den Verlust
der Pension keine Geltung.
§. 159.
- Die Ausführung dieses Gesetzes regelt eine vom Kaiser zu erlassende
Verordnung, durch welche namentlich diejenigen Behörden näher zu
bezeichnen sind, welche unter den in diesem Gesetze erwähnten
Reichsbehörden verstanden sein sollen.
- Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.
- Gegeben Berlin, den 31. März 1873.
(L. S.) Wilhelm.
Fürst v. Bismarck.
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zentrale@deutscher-reichsanzeiger.de
Hier können Sie das gesamte Gesetz ausdrucken
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